Mittwoch, 11. November 2015

Goethe-Institut St. Petersburg.


Trotz Schnupfens war ich bereit, Opfer zu bringen. Ich schleppte mich zu einem Vortrag über Friederike Mayröcker ins Goethe-Institut. Ein Kulturabend in deutscher Sprache. Ich hatte eine Einladung, was sollte ich tun? Außerdem wollte ich schon mal das Terrain erkunden, am 23. November werde ich hier selber was vorlesen. Man wird herausgehört haben, daß Friederike Mayröcker mir nicht so nahe steht wie andere Autoren, zum Beispiel Jandl, mit dem sie zusammen gewesen war. Obwohl ihre Krempelbude ganz gut zu mir passen würde. Jandl fand diese Unordnung so furchtbar, daß er ihre Wohnung fast nie betreten hatte. Sie wohnten getrennt.
Den Vortrag hielt Juliana Kaminskaja. Und das war schon seltsam. So innig und begeistert könnte ich mit der deutschen Sprache kaum umgehen. Eine Faszination, die sich wohl nur am anderen entzündet, und die man auch als Liebe bezeichnen kann. Schon wie Juliana Kaminskaja ein Hegelzitat abgeschmeckt hat, das ich für ungenießbar gehalten hätte. Geschweige denn die Beispielgedichte der Mayröcker - von denen sie sagte, diese seien dem Schweigen so nah, daß sie nun viel leiser spreche, als es sonst ihre Art sei.
Gern wäre ich noch zur Diskussion geblieben, still und schweigend wie ein Mayröckergedicht. Warum war ich es nicht? Wurde ich als Mayröckermuffel entlarvt und etwa hinausgeworfen? Nein, ich hab mal wieder nicht die Situation kapiert. Der Vortrag war zu Ende, es wurden ein paar russische Sätze gesagt, einige Teilnehmer blieben sitzen, manche gingen, offenbar gab es keinen Diskussionsbedarf. Ich zog meinen Mantel an. Die Veranstalterin, die mich eingeladen hatte, kam auf mich zu, und fragte, ob ich nicht vielleicht diskutieren wolle. Ich wehrte freundlich ab, was hätte ich auch zu Mayröcker sagen können?, daß mich ihre unordentliche Wohnung sehr bestärkt habe in meinem eigenen Lebensstil -, und wenn die anderen nichts beizutragen haben, würde ich nicht damit anfangen, also bedankte ich mich für die Einladung und ging auf die Straße. Draußen schnaubte ich kräftig meine Nase und als ich noch mal durch die Scheiben ins Innere blickte, da wurde mir klar, daß jetzt erst die Diskussion begann. Ich hätte einfach nur sitzen bleiben und zuhören können. Unmöglich allerdings, jetzt nochmal hineinzugehen. Als ob ich es mir anders überlegt hätte, und nun doch noch unbedingt etwas beitragen wollte. Ich schaute auf die sich so tonlos bewegenden Münder. Lippenlesen müßte man können oder einfach ein bißchen besser Russisch, dachte ich noch, und schlappte zur nächsten Metrostation.      

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