Montag, 23. November 2015

Am Sonntag schlich ich mich in eine Preisverleihung ein. Aber wie? Ich lernte im Michail-Soschenko-Museum die Lyrikerin Darja Suhowej kennen. Sie meinte, am Abend gebe es in der European University die Verleihung des Arcadia-Dragomoshchenko-Preises. Ach so? Komme ich gern! Wer ist eigentlich Arcadii Dragomoshchenko? Na ja, die Welt der Poesie ist groß. Die erste Preisträgerin des Abends ist Alexandra Tsibulja. Der berühmte amerikanische Dichter Michael Palmer, der mir dummerweise auch überhaupt gar nicht bekannt ist, hielt eine kurze Laudatio und überreichte eine Papiertüte, vermutlich mit Inhalt, und eine gerahmte Urkunde. Selten habe ich mit soviel Anmut eine Lyrikerin ihre soeben erhalten habende Urkunde an sich drücken gesehen. Ihr Lyrikdebüt heißt, in Anspielung an Louis-Ferdinand Célin, "Reise ans Ende des Bluts".

Das sind die Zweitplazierten. Ich kann nichts weiter zu ihnen sagen, aber ich finde es gut, daß man auch in Rußland nicht mehr unbedingt auf die Idee kommt, sein Hemd in die Hose zu stecken. So strahlten beide eine unbeholfene Lässigkeit aus, die ich sehr gut nachvollziehen kann.

Das Publikum ist die aufstrebende Lyrikerszene von Petersburg.

Die Moderatorin des Abends irritierte mich etwas. Ich muß noch darüber nachdenken, was die Irritation ausgelöst haben mag. 

Danach gings ins Kroniki. Wein und Käse für alle.

Alexander, mein Homme de lettre des Abends. Wir sprachen - in einer seltsamen Kombination aus Englisch, Französisch und Deutsch - über Faßbinder, Schlöndorff, de Sade, Brecht, Célin, Joyce, Musil, Trier, Bachmann, Frisch. Und "Schuld war doch nur der Wein", um die volkstümlichen Lyriker Schwalm und Gliem zu zitieren. Daneben Olga, sie hat einen Doktor für europäische Zeitgeschichte, soweit ich zumindest verstanden habe, und eine Schwester, die in den späten Neunzigern nach Hamburg ausgewandert ist. Im Rahmen ihres Studiums hat Olga Deutsch gelernt, und, wie sie mir versicherte, sehr ungern. Sie spricht es auch nicht. Ich versuchte, sie zu befragen, woher ihr Unbehagen denn käme - sie hat auch bisher ihre Schwester nicht in Hamburg besucht -, aber sie verriet es mir nicht. Ein Geheimnis, eine Geschichte für sich.  


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