Montag, 14. Dezember 2015

GO NORTH, MURMANSK GOOdBYE BLOG

(nina) Auch ich muss mich wohl noch vom Blog verabschieden. Wie immer hänge ich hinten nach... ich schreibe sogar schon aus Norwegen. 
Ich habe St Petersburg schon vor Christian verlassen und nach Murmansk gefahren. Dort war ich vom "Arctic Art Institut" eingeladen, eine Masterclass an der Universität zu halten. Also, go north, das war ja sowieso mein Wunsch- schnell habe ich den ursprünglichen Plan, durch Finnland zu reisen aufgegeben und mich sehr mit dem Gedanken angefreundet, länger in Russland zu bleiben.


Der Zug war 2 Stunden zu spät, St. Petersburg wollte mich wohl nicht so recht gehen lassen...



 Etwas mehr Betrieb als auf meiner Hinreise, 3 nette schnarchende, dicke, etwas komisch riechende Männer um mich herum. Und Englisch sprechen war endlich auch wieder sinnlos.  24 Stunden nach Murmansk!


 In der Nacht wache ich auf und wir stehen an einem verschneiten Bahnhof...

 Ich schlafe die ganze Nacht bis 10 Uhr vorzüglich, wache auf, schaue aus dem Fenster, und muss spontan an diesen Film mit dem kleinen Bären denken, dessen Mutter erschossen wird. Der spielte zwar in Alaska, aber ich bin trotzdem sehr angetan von dieser tollen Landschaft hier.


 Ich kann nicht mehr alles wiedergeben, was ich in 2 Tagen Murmansk erlebt habe, es waren Tage voll gebündelter Freundlichkeit, vielen neuen Gesichtern und neuen Freundschaften und Austausch. 


 Endlich Schnee!

 Mein Blick aus dem Fenster.



 Endlich bin ich auch Matrose! Im Hintergrund Kriegspropaganda im Museum.

Diesmal war ich bei Olga und ihrer Mutter untergebracht, die Mama ist eine Meisterin des Patchworks und zeigt mir stolz ihre außergewöhnlichen Decken.



Heldendenkmal, natürlich. Mit Hundewächter:



Sasha erwies sich als ausgezeichneter Fremdenführer und hetzte mich durch die ganze Stadt, er meinte, wir hätten viel zu wenig gesehen, ich meine, was habe ich noch nciht gesehen?


 Die Masterclass ist super gelaufen, nach meinem Vortrag habe ich eine kleine Arbeitsgruppe von 25 Studenten in die Geheimnisse des "Klieberns" eingeführt, das jeder Burgstudent nur zu gut kennt.
Lieber Herr Klieber, falls Sie das hier lesen, gebe ich das Lob direkt weiter- eine Studentin sagte mir nach dem Kurs: "Das war das Interessanteste, was ich jemals hier an dieser Hochschule gemact habe, Danke!"

Natürlich blieben auch hier ein paar Stücke meiner Arbeit.


Abends dann endlich frei und ein bisschen Hundespaziergangszeit.





Langsam komme ich in Weihnachtsstimmung... 
und völlig unerwartet treffe ich auf mein erstes Nordlicht... ich bin überglücklich. Und ziemlich müde.


Murmansk war meine letzte Station in Russland und ich schwöre mir, noch einmal zurück zu kommen... gefühlt mitten in der Nacht setzte ich mcih in den Bus nach Kirkenes, um meinen Urlaub durch Norwegen zu beginnen, den ich im Anschluss an das Auslandsstipendium geplant habe.

Ich entschuldige mich noch einmal für mein seltenes Erscheinen auf diesem Blog, aber es gab einfach zu viel zu sehen, zu arbeiten, zu erleben, zu bereden, zu planen, zu lernen, zu lachen, zu wenig zu schlafen. Manchmal war es mir dann einfach wichtiger, mal gar nichts zu tun oder zu reflektieren. Es sei mir verziehen.

 Und einen Nachtrag gibt es noch. Ich habe bis zur letzten Minute auf ein "Lucky Ticket" gewartet. Und es ist keins gekommen. Aber mir ist dann klar geworden, und vorsicht, jetzt wird es cheesy- dass ich gar kein "Lucky Ticket" brauchte. Die Zeit, Eindrücke und die neuen Freunde in St. Petersburg, Murmansk und jetzt Kirkenes machen mich so "lucky" wie ich in dem Moment nur irgend sein kann.  Fast jeden Tag dachte ich, es geht ja gar nicht besser- und dann kam es immer noch etwas besser und als gedacht.

Спасибо!
Ich freue mcih auf ein Wiedersehen, Russland.
Mit dem heutigen Nordlicht aus Kirkenes verabschiede ich mich von diesem Blog auf mein Hurtigruten Schiff, bis bald in Deutschland!

 
 






Der letzte Abend in St. Petersburg. Zwei Monate sind um. Ich fühle mich schlank und durchtrainiert, und rechne mir einige Chancen aus, für den Olympiakader der Geher genommen zu werden. Durchschnittlich bin ich drei Stunden durch Petersburg gegangen, damit habe ich mein Bewegungskontingent für das Jahr 2016 bereits vollständig aufgebraucht. Aber am letzten Abend ging ich noch einmal über den Litejnyj-Prospekt. Hier schlug das literarische Herz von Petersburg, lebten Achmatowa und Brodsky. Und wenn man ihn komplett vom Newski bis zur Newa entlanggeht, kommt man am monolithischen Betonklotz des KGB vorbei, in dem jetzt die Nachfolger der Tschekisten sitzen.  



Am Litejnyj liegt auch das Borej, und Anna hat dort zum Abschied eine kleinen Tisch vorbereitet. Mit den Schriftstellern Dima Grigorjew und Sergej Nossow, und wer sich sonst noch dazugesellen mag. Und Anna würde deutsche Stolle und alkoholfreien Glühwein aus Finnland mitbringen. Ich wollte noch eine Flasche Wodka auf den Tisch stellen, da mir alkoholfreier Glühwein aus Finnland eigentlich nur mit hartem Alkohol aus Russland genießbar erschien. Doch kurz vorher rief mich Anna an, und meinte, daß auch Pawel Krussanow anwesend sein würde, den sie nur den Dicken nannte. Der mir gar nicht so dick vorkam, weshalb ich anfangs immer gar nicht wußte, von wem die Rede war, weil doch alle Literaten im Borej ungefähr gleich dick waren oder, besser gesagt, die gleiche männliche Statur aufwiesen, die man hat, wenn das Leben nicht ungelebt vorübergezogen ist. Irgendwann begriff ich, daß diese liebevoll zugespitze Benennung Pawel Krussanows einer Eigenschaft geschuldet war, die ihn von seinen Kumpels, Sergej Nossov und Dima Grigorjew, nun wirklich unterschied. Er vertrug unglaublich viel Wodka. Und das ist natürlich unfair denen gegenüber, die mit ihm trinken müssen. Außerdem seien die beiden nur in seiner Gesellschaft, so Anna, in unguter Weise dem Wodka zugeneigt. Allerdings hatte ich Sergej Nossov auch schon sturzbesoffen gesehen, da war weit und breit nichts vom „Dicken“ zu sehen gewesen. Ich vermute, daß jeder russische Mann so einen Dicken als Freund hat, selbst wenn man ihn nicht sieht. Es ist der dicke Schatten des Wodkas, der über das Pflaster von Petersburg kriecht, während man nach Hause schwankt und lallt, der Dicke war schuld, es war doch wieder dieser Dicke, verdammt!


Dima Grigorjew, Sergej Nossov und Anna 

Also habe ich keinen Wodka, diesen unberechenbaren Flaschengeist, sondern lieber zwei Rotweine mitgebracht. Schmeckt sowieso besser. Und selbst der schlechteste Rotwein schmeckt immerhin schlecht, was man von Wodka nicht behaupten kann. Außer man hat so eine neumodische Sorte erwischt, bei der diesem Schnaps, dessen Güte ja darin besteht, nach nichts zu schmecken, doch noch irgendeine Geschmacksnuance zugefügt wurde.
Anna hatte schließlich alles wunderbar vorbereitet. Es gab eine Platte mit Kartoffeln, Salat und Katletts (so heißt der Klops auf Russisch). Die Stolle lag angeschnitten zum Verputzen. Die Männer nippten sogar am finnischen Glühwein, bevor sie freudig dem italienischen Rotwein zusprachen. Es war ein Abschied, wie ich ihn schöner nicht hätte haben können. Und am liebsten wäre ich noch eine Flasche Wein in einem der immer geöffneten Produkteu besorgen gegangen, wenn Anna nicht voller Sorge davon abgeraten hätte.
Sie hatte ja recht. Am Morgen würde ich um sechs aufstehen müssen. Ich mußte ins Bett. Doch im Bett kam ich nicht in den Schlaf. Und dann auch noch das. Ich hörte es in Ninas Zimmer rumoren und vor sich hin zischen. Was nicht sein konnte, denn Nina war längst in Richtung Murmansk abgedampft, auf der Jagd nach dem prächtigsten Nordlicht. Und bis zum Delirium hat der Rotwein nicht gereicht. Ich stehe auf und gehe nach nebenan. Unterm Sessel vielleicht? Im Kleiderschrank? Welche bösen Geister wollen mir zum Abschied den Schlaf verderben? Mit einem Ruck ziehe ich die Schranktür auf, er purzelt mir entgegen.


„Dserschinski!“
„Genau der.“
„Was soll das Theater?“
„Ich will wieder an einer Wand hängen, im Flur zum Beispiel, gleich neben dem Spiegel“.
„Vergiß es!“
„Oder nimm mich mit nach Halle.“
„Bloß nicht.“

Schnell stopfe ich ihn zurück, zwischen Staublappen und Pappkartons. Es wird wohl Zeit, endlich heimzukehren.


Samstag, 12. Dezember 2015

Am Ende hätte ich es fast geschafft, nicht in die Eremitage zu gehen. Aber dann bekam ich von Anna eine Karte, mit der ich kostenlos da reinkam. Es ist wie am Büffet, von dem man sich nehmen kann, so viel man will. Ich nahm auch das. 


Komplett von oben bis unten, von vorne bis hinten. Mit dem zügigen Marschtempo eines russischen Infanteristen durchmaß ich die weiten Hallen der Kunst. Auf einzelne Bilder konnte ich dabei keine Rücksicht nehmen. Wichtiger noch als das Hinsehen war das Absehen. Ich bin gut 10 Kilometer gelaufen. Erdgeschoß, erste Etage, zweite Etage. Die Erfinder solcher Museen müssen Sadisten gewesen sein. Es ist eine Zermürbungstaktik, wie sie Napoleon widerfuhr, als er Russland erobern wollte. Rechts und links des Weges sinken die Menschen auf die Bänke nieder, müde Gesichter, ausdruckslos und leer, angesichts der Fülle, der schieren Weite. Männer, Frauen, Schulkinder - manchmal Pärchen, die in liebvoller Umarmung eingeschlafen sind.



In einem Seitengang hält man Kisten für sie in unterschiedlicher Größe bereit. Dort legt man sie hinein für den Abtransport in den Keller der Eremitage, wo sie die nächsten Tausend Jahre verbleiben werden, bis man sie wieder hervorholt.



Und kurz bevor mich ein solches Schicksal ereilte, erblickte ich ein Bild, durch das ich meine Vorurteile, die ich gegenüber der russischen Gesellschaft gehegt haben mochte, wiederlegt sah. Mit der Homophobie kann es sicher nicht so schlimm sein, wenn im wichtigsten Museum des Landes ein Bild von Conchita Wurst hängt.