Donnerstag, 26. November 2015

Brodskys eineinhalb Zimmer


Über die „schwarze Treppe“, so nannte man den Nebeneingang, der vom Hinterhof den Zutritt zu einer Wohnung ermöglichte, um Kohlen, Holz und Kartoffeln herbeizuschaffen, stiegen wir zur Kommunalka der Brodskys hinauf. Zweiter Stock, eigentlich der erste, denn das Erdgeschoß wird in Russland als erster Stock bezeichnet. Ich kann mich erinnern, schon im Russischunterricht bei Herrn Bunk, einem Muttersprachler, hat mich das durcheinandergebracht.


Das ist nun fast der Höhepunkt meines Aufenthalts in Petersburg. Die Wohnung, die eineinhalb Zimmer in der Kommunalka, wo Joseph Brodsky mit seinen Eltern von 1940 bis 1972 gelebt hat. Es hat immer etwas von Animismus, an den Lebensort der Dichter zu gehen. Was erhofft man sich davon? Etwa die Aura des Genius zu spüren? Die Beseeltheit einer originalen Steckdose, eines von Brodskys eigener Hand bewegten Bakelitlichtschalters? Die Wohnung liegt in einem fast unrenovierten Zustand da. Sie ist ein Museum, doch der potemkinsche Witz des Ganzen, sie ist es für genau einen einzigen Tag gewesen. Nach dem Eröffnungstag für geladene Gäste wurde die Wohnung für die Öffentlichkeit wieder verschlossen. Der Grund, eine Frau in Brodskys Alter, die ihn möglicherweise noch persönlich gekannt hat, lebt im anderen Teil der Kommunalkawohnung, und verweigert bisher den Zutritt über den auch von ihr genutzten Bereich der Küche. Zwar gehört der Brodskystiftung die Hälfte der ehemaligen Kommunalka, doch der Durchgang in einer Kommunalka ist immer etwas sehr Gemeinschaftliches, und wer will schon Besucherströme durch die Küche latschen sehen. Ich habe, dank Anna, eine Sondergenehmigung, und wir wollen die toten Seelen, aber insbesondere auch diesen einen noch sehr lebendigen Geist in dieser Wohnung besänftigen, indem wir ihm eine Tüte mit Konfekt aus Sachsen-Anhalt als Opfergabe auf den Küchentisch legen (Manon Bursian sei gedankt, sie hat uns die Tüte mitgebracht). 


Vom Hintereingang Blick in die Küche



Ein weiterer Tisch steht gleich neben dem gemauerten Kochherd, tatsächlich fast das einzig erhalten gebliebene Originalmöbel der Brodskys. Beweis, an der Seite kann man die tiefen Rillen erkennen, die Brodskys Kater mit seinen Krallen hinterließ. Miez, Miez, Miez.


Durch den fahl mit einer einzelnen Glühbirne beleuchteten Flur tappe ich zu den anderthalb Zimmern der Brodskys. 

Im Raum, wo die Eltern lebten, hängen bedruckte Stoffbahnen von der Decke herab. Auf ihnen sind ins Überdimensionierte vergrößerte Fotos der Wohnung abgebildet, so daß ich einen Eindruck davon bekomme, wie es hier einmal ausgesehen hat. Durch die visuelle Rekonstruktion erkenne ich auch, an welcher Wand das große Bett der Eltern stand, jener Lümmellebensmittelpunkt von Brodskys Eltern. 

Die Balkontür ist im originalen Zustand, samt Katzenklappe, damit der Kater auf den Balkon huschen konnte, ohne daß man gleich die ganze Tür öffnen mußte, was im Winter durchaus unangenehm sein kann.

balcony posing

Ins halbe Zimmer, wo Brodsky sein Refugium hatte, tritt man durch herrschaftlich hohe Rundbögen. Sie waren mit Möbeln und auf diesen Möbeln in die Höhe gestapelten Koffern einigermaßen versperrt, damit Joseph Brodsky in Ruhe an der Schreibmaschine klappern und seine Freundin nackt ausziehen konnte. Vorhänge taten ihr Übriges, auch wenns den Eltern nicht sonderlich gefiel, und der Vater sich einen Durchschlupf zu seiner Dunkelkammer erbat, um dort seine Fotos entwickeln zu können, jedoch auch, um die Kontrolle über die Eskapaden des Herrn Sohns nicht gänzlich aus den Augen zu verlieren.

Denn eine zweite Tür ließ den separaten Zugang zu diesem Intimwohnbereich durchaus zu, und Joseph Brodsky wäre es lieb gewesen, wenn der Vater, nach vorherigem Anklopfen, ihn auch genutzt hätte. Nun zeigt am Fenster eine Holzkiste mit rotem Kissen darauf an, wo Brodsky seine Schlafstatt gehabt hatte.


Unter der Tapete im Flur, Zeitungen aus vormaliger Zeit. Der Buchstabe "ъ" wurde ab 1918 nicht mehr am Wortende nach harten Konsonanten geschrieben. Ein Teil der Bevölkerung glaubte, deshalb sei er nun gar nicht mehr in Verwendung, und manch Druckerei vernichtete voreilig seine Lettern.

Ablage, auf dem das Telefon stand, der Draht zum Sohn nach Amerika.

Improvisation im Zimmer nebenan, bei den Kommunalkanachbarn, das Bad in der Nische.

Brodsky ist nach seiner Ausbürgerung nie wieder nach Petersburg zurückgekehrt. Auch nicht als Toter, er liegt auf der Friedhofsinsel St. Michele in Venedig. Die Eltern starben, bevor er sie hätte wiedersehen können. Der Staat, der es verhinderte, brach ein paar Jahre zu spät zusammen. Seine byzantinische Mentalität lebt indes fort. Auch dieses Museum, möge die alte Dame noch lange leben, kann Brodsky nicht mehr zurückholen. Im besten Fall kann es daran erinnern, warum jemand keine Lust mehr hatte, in ein Land zurückzukehren.

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