Sonntag, 25. Oktober 2015

Moritz Gaede, Kunst und Politik:
Immer mal wieder landen wir im Puschkinskaja 10. Einem Hauskomplex, den sich die Künstler Anfang der 90er erobert haben und den sie in großen Teilen auch wieder abgeben mußten, weil daraus Eigentumswohnungen gemacht wurden; doch blieb ein Rest für sie. Auf mehreren Etagen befinden sich Ateliers, Galerien und Ausstellungsräume. Und man kann von Vernissage zu Vernissage mit einem Klaustrophobiefahrstuhl gelangen. Man steht zu dritt so gequetscht beieinander, daß man es fast bedauern könnte, kein Frotteur zu sein. Anna meinte, ich müsse unbedingt zu der Ausstellungseröffnung von Moritz Gaede, einem deutschem Künstler. Schon vor der Tür begegneten wir einem russischen Journalisten, der sich Anna gegenüber echauffierte, wie antiamerikanistisch der deutsche Künstler sei. Interessant zu sehen, wie ein Russe den Amerikaner vor dem Deutschen in Schutz nimmt. Nun bin ich gespannt, was ich zu sehen kriege. Und zwar das:



Moritz Gaede hat diese von anonymen Leuten kreierten und vom Schwarm im Internet geteilten Bildchen ausgedruckt, gerahmt und in den Kontext der Kunst gesetzt, indem er sie hier an die Wand gehängt hat. Wie steht der Künstler dazu? Ironisch, neutral oder mag er darin die Weisheit der Masse erkennen? Ich trete hinzu und höre ihn gerade sagen, wie lächerlich er es findet, daß Steinmeier Putin entgegengehalten habe, daß wir in Deutschland Pressefreiheit hätten, als ob wir in Deutschland Pressefreiheit haben würden! 
Durch die Vehemenz seiner Ansage fühle ich mich gleich ein bißchen naiv in meinem Bedürfnis, ihn einfach zu fragen, wer denn wie genau die Pressefreiheit in Deutschland einschränkt. Werden die Journalisten eingeschüchtert, bestochen, mit dem Tode bedroht, von der Regierung, der NSA oder dem Krümelmonster? Mir ist ja bekannt, daß jede Zeitung auch ihre Ideologie oder zumindest eine Art Grundausrichtung hat. Aber daß die FAZ, das Neue Deutschland, die taz, und in Teufels Namen auch die „Junge Freiheit“ völlig unfrei in ihrer Berichterstattung sein sollen bzw. gänzlich korrumpiert? Und wenn man von Freiheit spricht, sind dann nicht eher Freiheitsgrade gemeint, die man lieber konkret definieren sollte, damit man weiß, was mit Freiheit gemeint ist. Also traute ich mich doch, und fragte den Künstler höflich, wie er das meint, mit der fehlenden Pressefreiheit, und ob Rußland in dieser Hinsicht besser dastehe. 
Na, viel besser stehe es damit in Rußland sicher auch nicht, sagte er, beides seien Staatssysteme, die sich darin nicht sehr unterscheiden würden. Immerhin könne in Deutschland noch das neue Buch von Ulfkotte erscheinen. Wahrscheinlich guckte ich jetzt skeptisch, worauf er das Thema in eine etwas andere Richtung lenkte und sagte, daß ihn das Klima unter den Künstlern in Petersburg an das von Berlin der frühen Neunziger erinnere, als es viel solidarischer zugegangen sei und die Menschen noch auf der Straße fröhlich gelacht hätten und nicht so verbissen ehrgeizig durch die Welt gelaufen seien. Wir verabschiedeten uns, und verblieben bei der versöhnlichen Idee, daß wir uns bestimmt einmal wiedersehen und dann aber laut lachend durch die Straßen von Berlin ziehen werden.  
Das folgende Bild zeigt nicht Moritz Gaede, denn ...

wir zogen weiter und trafen den Leiter. Blöder Reim muß sein. Also das ist der Chefkünstler im Puschkinskaja. Ich habe zu meiner Schande seinen Namen vergessen. Aber was soll ich machen, da ich mir zur Zeit wie in einem Dostojewskij-Roman vorkomme, von tausend russischen Namen verwirrt. Mit Anna, die gerade nicht im Bild ist, gab es viel zu bereden, zu planen und in die Zukunft zu spekulieren. Ich hätte mich am liebsten auf den Schaukelstuhl gesetzt und eine von diesen unendlich vielen CDs aus dem Regal gezogen. Wie habe ich noch in der Schule gelernt: Ja ljublju ßluschatch musiku.

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