Immer mal wieder landen wir im Puschkinskaja 10. Einem Hauskomplex, den sich die Künstler Anfang der 90er erobert haben und den sie in großen Teilen auch wieder abgeben mußten, weil daraus Eigentumswohnungen gemacht wurden; doch blieb ein Rest für sie. Auf mehreren Etagen befinden sich Ateliers, Galerien und Ausstellungsräume. Und man kann von Vernissage zu Vernissage mit einem Klaustrophobiefahrstuhl gelangen. Man steht zu dritt so gequetscht beieinander, daß man es fast bedauern könnte, kein Frotteur zu sein. Anna meinte, ich müsse unbedingt zu der Ausstellungseröffnung von Moritz Gaede, einem deutschem Künstler. Schon vor der Tür begegneten wir einem russischen Journalisten, der sich Anna gegenüber echauffierte, wie antiamerikanistisch der deutsche Künstler sei. Interessant zu sehen, wie ein Russe den Amerikaner vor dem Deutschen in Schutz nimmt. Nun bin ich gespannt, was ich zu sehen kriege. Und zwar das:
Moritz Gaede hat diese von anonymen Leuten kreierten und vom Schwarm im
Internet geteilten Bildchen ausgedruckt, gerahmt und in den Kontext der Kunst
gesetzt, indem er sie hier an die Wand gehängt hat. Wie steht der Künstler
dazu? Ironisch, neutral oder mag er darin die Weisheit der Masse erkennen? Ich
trete hinzu und höre ihn gerade sagen, wie lächerlich er es findet, daß Steinmeier
Putin entgegengehalten habe, daß wir in Deutschland Pressefreiheit hätten, als
ob wir in Deutschland Pressefreiheit haben würden!
Durch die Vehemenz seiner Ansage fühle ich mich gleich ein
bißchen naiv in meinem Bedürfnis, ihn einfach zu fragen, wer denn wie genau die
Pressefreiheit in Deutschland einschränkt. Werden die Journalisten
eingeschüchtert, bestochen, mit dem Tode bedroht, von der Regierung, der NSA
oder dem Krümelmonster? Mir ist ja bekannt, daß jede Zeitung auch ihre Ideologie
oder zumindest eine Art Grundausrichtung hat. Aber daß die FAZ, das Neue
Deutschland, die taz, und in Teufels Namen auch die „Junge Freiheit“ völlig
unfrei in ihrer Berichterstattung sein sollen bzw. gänzlich korrumpiert? Und wenn man von Freiheit
spricht, sind dann nicht eher Freiheitsgrade gemeint, die man lieber konkret
definieren sollte, damit man weiß, was mit Freiheit gemeint ist. Also traute
ich mich doch, und fragte den Künstler höflich, wie er das meint, mit der
fehlenden Pressefreiheit, und ob Rußland in dieser Hinsicht besser dastehe.
Na,
viel besser stehe es damit in Rußland sicher auch nicht, sagte er, beides seien
Staatssysteme, die sich darin nicht sehr unterscheiden würden. Immerhin könne in Deutschland noch das neue Buch von Ulfkotte erscheinen. Wahrscheinlich
guckte ich jetzt skeptisch, worauf er das Thema in eine etwas andere Richtung
lenkte und sagte, daß ihn das Klima unter den Künstlern in Petersburg an das von
Berlin der frühen Neunziger erinnere, als es viel solidarischer zugegangen sei
und die Menschen noch auf der Straße fröhlich gelacht hätten und nicht so
verbissen ehrgeizig durch die Welt gelaufen seien. Wir verabschiedeten uns, und
verblieben bei der versöhnlichen Idee, daß wir uns bestimmt einmal wiedersehen
und dann aber laut lachend durch die Straßen von Berlin ziehen werden.
Das folgende Bild zeigt nicht Moritz Gaede, denn ...
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