Mittwoch, 9. Dezember 2015

Drei auf einen Streich. Manchmal muß man effektiv vorgehen. Die Stadt ist voller Dichterquartiere, und ich spute mich, um in jedes wenigstens einen kleinen Blick hineingeworfen zu haben.
 

Das Quartier von Nabokov  


Nabokov, eine schwierige Beziehung. In meinem Studium mußte ich einmal alle Erzählungen von Nabokov lesen. Das war eine seltsame Sache. Mein Professor wollte der Ingeborg Bachmann-Preisträgerin Kathrin Passig, die bei einem Interview erwähnt hatte, aus Nabokovs Erzählungen einen Satz in ihrer Gewinnergeschichte verwendet zu haben, in einem Artikel demonstrieren, daß er sich mit Nabokov auskennt, weshalb er mich anwies, alle Erzählungen von Nabokov zu lesen, damit ich für ihn die Stelle herausfinde. Zwei dicke Bände mit Nabokov-Erzählungen. Bestimmt fantastische Erzählungen, voller Eleganz, sprachlicher Raffinesse und Menschenkenntnis. Nichts davon ist mir noch erinnerlich. Außer, daß es meistens um jemanden ging, der über etwas nachdachte oder jemanden treffen wollte, der über etwas nachdenkend zu jemandem ging, den er treffen wollte oder darüber nachdachte, ihn zu treffen. Die Stelle habe ich auch nicht gefunden. Ich erzählte mein Elend einer Kommilitonin, die mit Kathrin Passig befreundet ist, und sie schlug vor, doch einfach Kathrin Passig zu fragen. Ich wiegelte ab, das sei doch das Problem. Sie tat es trotzdem. Später erzählte sie mir, daß Kathrin Passig, die meinen Professor persönlich kennt, gesagt habe, na da hätte er mich doch auch anrufen können, dann hätte ich es ihm gesagt. So einfach könnte es im Leben theoretisch sein. 


Nabokov war einer der wenigen Dichter, die geglaubt haben, daß kurze Hosen ihnen stehen könnten.


Dichter scrabbeln nicht. Dachte ich immer. Wahrscheinlich die einzige Ausnahme, Nabokov. Auch das befremdet mich ein wenig. Da sitzt man nun mit seinen Buchstaben und alle denken, man müsse dieses Spiel lieben, weil man doch mit Worten umgehe. Blödsinn!  

Das Quartier von  Michael Soschtschenko


Einer der größten Humoristen Rußlands und ich habe bisher noch nicht eine einzige Zeile von ihm gelesen. Höchstens gehört. Auf der Platte „Jazz Lyrik Prosa“ liest Manfred Krug eine Geschichte, „Die Kuh im Propeller“, so lautet der deutsche Titel, der im Original „Der Agitator“ heißt. Mir scheint, es ist das winzigste Literaturmuseum von Petersburg. Und es arbeitet die Lyrikerin Daria Suhovey dort, die die Besucher durch die Räume führt, genaugenommen durch einen Raum, den Raum, in dem Soschtschenko fast bis zuletzt gewohnt hat. Führen ist vielleicht auch nicht das richtige Wort. Wir machen einen Schritt in den Raum, bis an die kurz hinter der Tür gespannte Schnur, wo wir dann stehen bleiben und gucken. Man sieht seinen Schreibtisch, sein Stehpult, sein Bett, vor dem Bett seine Schuhe, ans Bett gelehnt seinen Gehstock. Als mich Daria Suhovey zum Schluß fragte, ob ich noch Fragen zu dem kleinen Museum habe, hätte ich fragen sollen, ob das tatsächlich seine Schuhe sind, die da stehen. Aber eigentlich muß man das Geheimnis auch nicht durch Fragen kaputtmachen.

Das Quartier von Alexander Blok



Obwohl ich Lyriker bin, habe ich zu ihm den geringsten Bezug. Was vielleicht daran liegen könnte, daß ich, anders als ich mir das bisher immer gedacht habe, doch gar kein richtiger Lyriker bin, denn meine empfindsame Besingung der schönen Dame, die in dem Poem "Danke, Du Schlampe" gipfelte, hatte die Damenwelt Halles selten erreicht und machte mich schließlich liebesgedichtabstinent. Aber links liegen lasse ich ihn trotzdem nicht. Das Wohnhaus am Ende der Uliza Dekabristow ist in einem kaum renovierten, dadurch vom Fine de siècle nur so wimmelnden Zustand. Ein Kachelofen im Hausflur. Schmiedeeisernes Treppengeländer. Abgetretene Steinstufen. Als ich eintraf, hatte kurz vorher eine festlich gekleidete Gesellschaft die Räumlichkeiten betreten. Ich komme mir - wie sooft in der Stadt - etwas unpassend angezogen vor. Um mich herum junge Männer mit einer einzelnen weißen Lilie in der Hand. Frauen, die in jeden Spiegel einen prüfenden Blick werfen, ob denn die Frisur noch sitzt. So nähert man sich hier dem Lyriker. Vielleicht sollte ich es, nun im reifen Mannesalter, nochmal versuchen mit dem Liebesgedicht.

Auf drei Etagen verteilt sich das Museum. Unten die Kasse und Garderobe. Überhaupt habe ich noch in keiner deutschen Stadt so viele Garderoben erlebt wie in St. Petersburg. Auf der mittleren Etage gibt es eine breite Darstellung von Leben und Werk. Alles nur auf Russisch, aber ich kann mir die Fotos angucken. Ein älterer Herr spricht mich an, ein Museumsangestellter vielleicht, doch ich verstehe leider nicht, was er gesagt hat, er redet und redet, bis ich ihm mit dem wichtigsten Satz, den ich auf Russisch perfekt beherrsche, mitteile, daß ich ihn nicht verstehe, und spreche dann auf Englisch weiter. Aber das hätte ich nicht tun dürfen. Er guckt mich entgeistert an, ganz stumm, ich spreche noch ein paar Worte auf Englisch. Er bleibt stumm, weicht vor mir zurück, als wäre er dem Leibhaftigen begegnet, guckt mich aber immer noch durchdringend an. Ich weiß nun auch nicht mehr weiter, zucke mit den Schultern, sage lieber nichts mehr, womöglich hat er ja recht. Jemand wie ich kann diese Räume doch nur entweihen, schnell gehe ich durch die Ausstellung und mache trotzdem eine Entdeckung. In einem Schaukasten liegt Bi-Ba-Bo, das „lebende Spielzeug“ von Blok. Offenbar ein deutsches Fabrikat, sonst wäre ja die Schrift auf dem Karton nicht deutsch. Was hat Blok damit getrieben? Könnte ich die Erklärung dazu verstehen, wären mir nun nicht lauter seltsame Dinge vorgeschwebt über Blok und sein Bi-Ba-Bo.


Ganz oben befindet sich das originale Quartier. Es gibt hier sogar einen Text auf Englisch, der erklärt, Bloks Arbeitszimmer sei immer sehr sauber und aufgeräumt gewesen. Auch auf seinem Schreibtische habe kein Blatt Papier gelegen, genauso, wie man es jetzt in Augenschein nehmen könne. Was hat er denn da gemacht? Etwa mit seinem lebenden Spielzeug gespielt?

Was man ihm nicht unterstellen kann, ist, daß er keinen Sinn gehabt hätte für lustig guckende Fische.

Ob Alexander Blok, wenn er heute gelebt hätte, auch ein Blog schreiben würde, ist noch so ein letzter Gedanke, den ich habe, bevor ich sein Quartier verlasse, in die Petersburger Dunkelheit.



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen